In das kalte Wasser wird man wieder geschubst, wenn man wie ich seine Heimreise über Poipet antritt. Poipet ist ein Moloch. Glücksspiel, Menschenhandel und Prostitution bestimmen hier die Realitäten. Man kann hier alles kaufen. Von Klamotten über Drogen bis hin zu kleinen Kindern bleibt hier kein Wunsch unerfüllt. Denn hier sitzt man direkt an der Quelle.
Als ich die Mainroad in Poipet entlang laufe begegnet mir ein Engländer, schätzungsweise Anfang Fünfzig. Ob ich ein gutes Hotel kenne, fragt er mich. Ich nenne ihm meins, denn es ist sauber und günstig. Ich deute ihm den Weg. Er ist erfreut, als ich ihm sage, dass die Räume einen Fernseher haben. Morgen fährt er nach Phnom Penh. Ein Freund heiratet dort. Er selbst habe auch letztes Jahr sechs Monate dort gearbeitet, sonst lebt er in Thailand seit ca. zehn Jahren. Nun sei er aber das erste Mal in Poipet. Es sei der schlimmste Ort in dem er in seinem ganzen Leben war. „The world gave already so much money to
Und als ich auf seine Frage „Do you really like
Später hält eine Frau (westliches Erscheinungsbild) auf ihrem Motorroller neben mir und fragt mich ob ich hier Urlaub mache, sie sei nur neugierig. Ich erkläre ihr alles. Auch, dass ich Poipet nicht wahnsinnig sympathisch finde und frage sie ob sie hier arbeitet. Ja, seit acht Monaten als Voluntärin. Mittlerweile fange sie sogar an diesen Ort zu mögen. Zwei Jahre bleibt sie noch hier. Motivation genug sich hier einzuleben.
Noch einmal kurz zurück nach Kampot. An meinem letzten Tag am Mittwoch war ich zu einer Beerdigungszeremonie im benachbarten Badeort Kep eingeladen. Die Zeremonie dauert sieben Tage, der Mittwoch war der letzte Tag. Es war eine unglaublich entspannte, buddhistische Atmosphäre.
Eine stille und tiefe Freundlichkeit, die gut tut, kam mir entgegen. Ich war der einzige
Fremde. Es gab fabelhaftes Essen, das beste das ich in diesen drei Monaten in Kambodscha hatte. Mir gefällt diese Sterbekultur. Weg von einem schwarz-grauen Lamentierteppich, hin zu einem zuversichtlichem Jenseitsglauben. Einer der Vorzüge des Theravada Buddhismus.
Gestern habe ich Kambodscha verlassen. Ich habe mir einen Traum erfüllt. Es ist wert sich einen Traum zu erfüllen, an ihn zu glauben und ihn zu wagen. Und ich werde wieder zurückkehren, irgendwann.
An dieser Stelle möchte ich Herrn Valkenborghs meine besten Genesungswünsche aussprechen, da er bei meinem Besuch aufgrund der andauernden Probleme mit der Korruption einen Herzinfarkt erlitten hat. Ich wünsche ihm viel Kraft für den weiteren Kampf!
Meine Soziale Identität -
hat im Grunde nur wenig mit mir selbst zu tun. Es unterscheiden sich Selbstbilder, Fremdbilder und Eigenerkenntnisse in solch einem Maße, dass es mir beinahe unmöglich erscheint eine friedvolle Einigung aller dieser, miteinander auf Kriegsfuß stehenden Lager, zu erzielen.
Eine persönliche Hauptschlussfolgerung meiner Recherchereise ist daher, dass ich bei weitem zu unreif bin Entscheidungen zu treffen, die den Willen beinhalten Zustände, Bedingungen und ganze Leben zu verändern. Denn die Aufgaben die meiner Generation in der Zukunft bevorstehen sind so unglaublich gewaltig, verantwortungsfordernd und beispiellos, dass sie real nicht zu bewältigen sind. Denn für die Anforderungen die an uns gestellt sind, gibt es bisher noch keine Werkzeuge. Unsere Aufgaben sind von ihrer Art her nicht zu vergleichen mit beispielsweise der deutschen Nachkriegsgeneration und ihrer gewaltigen, aus Händen geschaffenen Aufbauarbeit. Sie sind auch nicht zu vergleichen mit historischen politischen Staatsumwälzungen aus dem Volke, wie in der französischen Revolution geschehen oder dem aktuellen Versuch in Thailand.
Es wird von uns weit mehr gefordert. Es geht nicht nur um Überzeugungen und deren Umsetzung in die Tat. Es geht nicht nur um praktisches, realistisches Denken und dessen demonstrativer Realisierung. Nein.
Meine Generation, die gerade aufgebrochen ist und nun langsam aber sicher in die Lage kommt, die bisher von der aktuellen Herrschaft getragene Verantwortung zu übernehmen, sieht sich einem Curriculum gegenüber, das eine unbedingte Verknüpfung aller auch nur möglichen Kompetenzen zur Veränderung bzw. Erhaltung der menschlichen, gemeinsamen Lebensgrundlage nötig macht.
Die einfachen oppositionellen Formeln und Folgemuster von Schwarz-Weiß, Gut-Böse, Ost-West, „Kapitalismus“ - “Kommunismus“, Überzeugung - Handeln, „Demokratie“ - “Diktatur“, etc. greifen aufgrund einer unaufhaltsamen Globalisierungsdampfwalze nicht mehr. Es ist ein viel tiefgreifender Ansatz nötig, der eine weltweite Sensibilisierung vor, während und nach allen Handlungen zur Normalität werden lässt. Und genau hier unterscheidet sich die Herausforderung meiner Generation von allen Vorangegangenen.
Denn diese Sensibilisierung und das mit ihr einhergehende und verbundene bewusste Denken ist in Zukunft nicht mehr nur im Großen, im regionalen, nationalen bis hin zum weltweiten politischen, wirtschaftlichen und ökologischen Handeln erforderlich, sondern fängt bei jedem Einzelnen an.
Und an diesem Punkt wird es unbequem. Denn erstens hört der Mensch nicht gerne Anforderungen, die Restriktionen seines eigenen Lebensstandards bedürfen und zweitens tut er dies aus dem Grunde nicht gerne, weil er schlicht und einfach nicht die menschlichen Kapazitäten hat, diesen persönlichen Anforderungen, sowohl kognitiv als auch praktisch sowie emotional, nachzukommen. Worin ich mich mit einschließe.
Doch soll dies kein Hinderungsgrund sein an den weltlichen Bedingungen und Grundlagen zu
arbeiten. Sich zu entwickeln, die guten als auch die schlechten Phasen in den Denkprozessen und den durchgeführten Handlungen durchzustehen und an eine finale Lösung zu glauben.
Denn eine positive Sache ist immerhin, dass wir eines der letzten Hindernisse, denen wir
gegenüberstehen, bestimmt auch noch überwinden: Uns selbst. Den Menschen.
Der Mensch ist nicht besonders groß, wenn man den Elefanten, gewaltige Mammutbäume
oder die Achttausender Gletscher sieht. Der Mensch hat sämtliche Höhen überwunden, er wird sich selbst auch noch bewältigen, da bin ich zuversichtlich.
Doch bei einer Schwierigkeit zittern meine Knie: die Überwindung der Tiefe.
Wir bewältigen alle Höhen, doch wir haben nicht das Rüstzeug den Druck der Tiefen auszuhalten. Der Großteil der Tiefsee ist uns unbekannt. Ebenso unsere menschliche Tiefe. Zu groß wäre der Druck. Zu tief der Abgrund. Zu wenig Füllzeug um ihn aufzufüllen.
In der Lösungsfindung spielt daher meiner Ansicht nach folgende Frage die wesentlichste Rolle:
Wie gelangt der Mensch zu seinem eigenen, persönlichen Tiefenverständnis und damit zu einer global umgreifenden Verantwortung zur Selbst- und Fremderhaltung sämtlicher Lebensformen auf unserem lebenspendenden Boden?
Literaturlinks:
Zu empfehlen ist die von WanTi zusammengestellte Bücherliste unter: http://www.kambodscha-info.de/cgi-bin/forum/YaBB.pl?action=search2
(Sehr hilfreiche Bücher sind dort genannt mit guten kleinen Rezensionen, auch wenn ich persönlich nicht jeder Rezension zustimmen kann.)
Hier noch ein paar Ergänzungen zu den Themen Kambodscha und Entwicklungspolitik:
GILBOA, Amit: Off the rails in Phnom Penh – into the dark heart of guns, girls and ganja. 1998. ISBN 974-8303-34-9
Unglaublich glaubwürdige und hautnahe Geschichten aus dem einfachen Leben von Westlern in Phnom Penh, die die vorherrschende Gesetzlosigkeit zur Ausübung ihres gebrauchenden und verbrauchenden Lebensstils ausnutzen. Ein Buch das klar verdeutlicht, dass sich in den letzten zehn Jahren nichts, aber auch gar nichts in Phnom Penh verändert hat. Same same.
ROHDE, Manfred: Abschied von den Killing Fields – Kambodschas langer Weg in die Normalität. 1999. ISBN 3-416-02887-2
Eine Abkehr von der Vergangenheit in die Zukunft. Ein umfassender Rundumblick, der auch
deutlich macht, dass Kambodscha nicht nur Angkor, Phnom Penh und Kampong Som ist (wie es Ilona Dürkop sehr schön in ihrem Kambodscha-Tagebuch beschrieben hat http://www.ilonaduerkop.info/kambodschatagebuch-2007.html), sondern viele Facetten mehr zu bieten hat.
PORTER, Doug; ALLEN, Bryant; THOMPSON, Gaye: Development in Practice – Paved with good intensions. 1991. ISBN 0-415-03564-3
Über ein gescheitertes Entwicklungsprogramm in Kenya, das Anfang der Siebziger Jahre startete und zwanzig Jahre später mit mehr als spärlichen Ergebnissen signifikant scheiterte. Es kann depressiv machen, es kann aber auch ein Lehrbuch dafür sein, mögliche Fehler zu vermeiden. Klar wird auf jeden Fall um ein weiteres Mal die Komplexität und Verantwortungslast im entwicklungspolitischen Handeln.
GREEN, Duncan: From poverty to power. 2008. ISBN 978-0-85598-593-6. Auch kostenloser
Download unter: http://www.oxfam.org/en/content/from-poverty-power-full-text
Gehört zu den aktuellsten Texten und macht Mut. Green konfrontiert mit der Realität, zeigt aber Wege aus der Misere die nicht im idealistischen Niemandsland (wie bei mir) verschwinden.
Weblink: www.worldkey.org Die Zukunft?
Zum Abschluss noch eine kleine wahre Geschichte:
Es ist ein heißer sommerlicher Samstagnachmittag in Deutschland. Herr Müller (Name geändert) und dessen Sohn sind gerade dabei das Familienauto an einer Handwaschanlage zu waschen als sie von Weitem ein klapperndes, sich langsam näherndes rostiges Fahrzeug wahrnehmen. Es nimmt direkten Kurs auf die Waschanlage. Als es schließlich hält erkennen Herr Müller und dessen Sohn, dass das linke Hinterrad des rostigen Vehikels geplatzt ist und sogleich steigen ein Mann und seine Familie aus dem Wagen aus.
Modisch scheinen sie nicht auf dem neuesten Stand zu sein und auch die Körperpflege der Fremden scheint eine schwache Intensität zu haben. In Deutschland ist für solch ein Auftreten ein umgangsprachliches und mit Misstrauen gekoppeltes Wort stark im Gebrauch, welches ich hier aber nicht nennen möchte, der Vorurteile wegen.
Sie steigen also aus und nähern sich Herrn Müller, der gerade dabei ist mit Superspeed-Hochdruck den Total-Clean-Schaum vom grünen Lack zu waschen. Der Mann geht auf Herrn Müller zu und fragt ihn ob er wisse wo man einen neuen Reifen kaufen könne. Herr Müller hält inne und sagt, dass sie einen Moment warten sollen, er sei gleich mit dem Waschen fertig und könne sie dann zu einer Werkstatt fahren.
Gesagt, getan. Nach ca. einer halben Stunde und ein paar Irrungen, aufgrund der Problematik, dass es Samstagnachmittag ist, finden sie schließlich eine Werkstatt, die sogar einen geeigneten Reifen übrig hat. Für Fünfzig deutsche Mark wäre der Reifen und damit der noch zweihundert Kilometer andauernde Nachhauseweg für die Familie zu haben. Bargeld haben sie keines bei sich, also fahren Herr Müller und dessen Sohn mit der Frau des Mannes zum nächsten Bankautomaten, einige Kilometer entfernt. Es ist eine ländliche Gegend.
Dort angekommen und sämtliche EC-Karten ausprobiert, muss die Frau leider resigniert feststellen, dass das Konto, aus nur ihr bekannten Gründen, gesperrt wurde.
Enttäuscht fahren sie also zurück zur Werkstatt, wo der Mann und die übrige Familie schon
ungeduldig warten.
Was nun?
Nach einiger Bedenkzeit macht Herr Müller folgenden Vorschlag:
„Also passt auf: Ich werde euch jetzt die fünfzig D-Mark leihen, damit ihr euch den Reifen kaufen
könnt und nach Hause kommt. Aber ich hoffe sehr, dass ich mein Geld wiederbekomme!“
Überrascht und überaus dankbar nimmt die Familie das Angebot an und versichert so schnell wie möglich das Geld zurückzuzahlen. Herr Müller übergibt das Geld dem Mann, der in der Werkstatt den Reifen bezahlt, der danach umgehend angebaut wird, sodass die Familie ihre Heimreise fortsetzen kann.
Einige Monate später:
Der Sohn macht Hausaufgaben als Herr Müller wutentbrannt nach Hause kommt. Es stellt sich
heraus, dass Herr Müller sein Auto in die sechs Kilometer entfernte Werkstatt zur Reparatur
gebracht hat, wo es bis zum nächsten Tag bleiben muss. Aufgrund der nicht vorhandenen
öffentlichen Verkehrsmittel, fragte er dort anwesende Autofahrer- und fahrerinnen ob sie ihn denn nicht die paar Kilometer bis zu seinem Wohnort mitnehmen könnten.
Vergeblich. Nur Kopfschütteln und arrogante sowie misstrauende Blicke.
Wutschnaubend poltert Herr Müller, als er zu Fuß zu Hause angekommen ist:
„Ich werde auch keinem mehr helfen! Wenn man selbst mal Hilfe braucht, steht man alleine da!“
In der Zwischenzeit holt der Sohn die Post aus dem Briefkasten und seine Aufmerksamkeit gilt
sogleich einem blassen Briefumschlag ohne Absender. Er legt die Post auf den Esstisch und öffnet
den Brief.
Darin ein Fünfzig-Mark-schein und ein Zettel auf dem mit stakeliger Schrift steht:
„Mit Dank zurück!“
Lia sen haöey Kampuchea!
Auf Wiedersehen Kambodscha!
Bangkok 14/12/2008