2008/10/09

Barfuss in Stung Meanchey

Besuch auf der Muellhalde. Sehr spontan und eigentlich nur durch einen reinen Zufall waehrend ich vergeblich auf der Suche nach einem bestimmten Heim fuer Strassenkinder gesucht habe, von dem in anonymen Kreisen im Internet nicht mit Wohlwollen gesprochen wird. Doch als mich der ebenfalls orientierungslose Tuk-Tuk-Fahrer im relevanten Gebiet absetzte, irrte ich mehr oder weniger planlos umher. Auch Einheimische konnten mir nicht weiterhelfen und gaben bestenfalls ungefaehre Richtungsangaben auch wenn sie nicht verstanden haben was ich eigentlich suchte. Ich gab eigentlich schon auf und ueberlegte ob ich mich in meine Herberge zurueckfahren lasse, denn das Gebiet in dem ich mich befand liegt eher abseits am Rande der Stadt und in ca. zwei Stunden wuerde es sowieso dunkel werden.
Doch dann stand ich ploetzlich an einer Kreuzung von der eine breite Strasse abging an deren Ende ich dicken schwarzen Rauch wahrnehmen konnte. Wie es ab und zu in meiner Natur liegt wollte ich natuerlich wissen was dort brennt oder was dort vor sich ging.

Und ich landete auf Stung Meanchey, der Muellhalde Phnom Penhs.

Stung Meanchey ist fuer mich ab heute ein Synonym fuer die Hoelle. Wahrhaftig. Und ohne auch nur einem Fuenkchen Uebertreibung!!!
Man gelangt nur ueber einen sehr muellschlammigen, vielleicht 300 Meter langen Weg dorthin und versinkt schon auf den ersten Metern im Dreck. Knietief.
Ich verlor meine Sandalen. Fortan also barfuss. Jemand hinter mir krallte sich muellerfahren meine Schlappen aus einem halben Meter Tiefe. Ich goennte sie ihm und kaempfte mich auf meinen Fussohlen muehsam voran mit konzentriertem Blick auf etwaige Glasscherben im alles ueberdeckenden Schlamm. Hier kriegt man alle Krankheiten, selbst die die man noch nicht kennt. Ich versuchte die Gefahr einer Infektion zu verdraengen, ganz wohl war mir nicht zumute, aber ich wusste, dass ich bestimmt nicht den Mut haette mit meinen Stiefeln an einem anderen Tag wiederzukommen um diesen Platz zu betreten. Jetzt war ich hier, nur jetzt.

Also ging ich weiter, den beissenden Gestank verdraengend, gegen den selbst die heimische Muelltonne oder der vermuellte Marktplatz in Kampong Thom Parfuemerien sind.
Als ich zum Abladeplatz kam blieb ich stehen, hier war das Zentrum. Weiterzugehen waere fuer einen muellunerfahrenen Weicheieuropaeer wie mich glatte Lebensmuedigkeit.
Dort stand ich nun, inmitten von Menschen die mich unglaeubig anschauten und auf meine nackten Fuesse zeigten. Ich laechelte nur und zuckte mit den Schultern. Eine Frau zeigte mir einen verschlammten kleinen Schuh, doch ich lehnte dankbar europaeisch ab.

Man kann dort schlecht begreifen was vor sich geht. Man es schon allein visuell nicht angemessen fassen, wie soll es dann mental gehen?
Ich wollte auf jeden Fall wieder weg, weg von diesem fremden Planeten, der lungenaetzenden Luft, hinein in mein Gaestehauszimmer mit den Keksen, meinem gefilterten Wasser und der halbwegs funktionierenden Dusche. Ich wollte zurueck in die rosarote Welt der hundertundelften Strasse.

Keinen Tag wuerde ich in dieser Hoelle ueberleben. Keinen Tag.


Man koennte vermuten das sei ein Deich an der Nordseekueste.
Dahinter wartet der Albtraum.

Muellwagen karren den Muell aus der Stadt ueber den Schlammweg zur Halde.

Am Weg liegt eine Schule fuer die gluecklichen Kinder, die dem Muell (zumindest existenziell, denn der Gestank ist auch hier) entkommen konnten. Die Website der Traegerorganisation dieser Schule lautet: www.peopleimprovement.org
Ich kenne diese Organisation nicht, kann daher auch nichts ueber sie sagen.

Eine Frau mit ihrem Kind auf dem weg zur Abladestelle querfeldein.

Das letzte Foto von meinen Schlappen ca. zwei Minuten bevor der Schlamm sie gaenzlich verschlang.

Muellsammler ob gross ob klein - von alt kann man hier aufgrund der geringen Lebenserwartung nicht sprechen - bringen ihre Saecke zu den nahegelegenen Aufkaeuferhallen.

Viele leben hier unter provisorischen Daechern oder schlafen auf der Strasse. Ein Grossteil war noch nie direkt in der Stadt.

Ueberlebensraum fuer Erwachsene...

...und fuer Kinder

Die Muellwagen kippen ihre Ladung auf den Abladeplatz...

...wo das Frischgelieferte unmittelbar durchstochert und durchwuehlt wird.

Wer etwas zuerst findet, darf es behalten. Hier wird nichts weggenommen - aber auch nichts verschenkt.

Auch Ziegen versuchen ihr Glueck.

Danach verrichtet der Bulldozer seine notwendige Arbeit.

Hier zu leben beinhaltet keine Hoffnung, keinen Traum und keine Zukunft, sondern ist schlichtes Ueberleben. Und Kindheit gibt es hier schon garnicht,...

...nur Muell und beissender Gestank. In der Hoelle von Stung Meanchey.

Phnom Penh 09/10/2008

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ganz schön hart, schon die Bilder nehmen einen mit. Und seltsamerweise bin ich froh, daß ich diesen Ort nicht gefunden habe... das ganze in echt hätte mir wahrscheinlich den Magen umgedreht und schlaflose Nächte beschert...

Wünsche Dir trotzdem noch eine gute Zeit!

Viele Grüße aus Oberlichtenau (Deutschland)
Nicki

Anonym hat gesagt…

krass! Gruss!

Anonym hat gesagt…

Lieber Fabian,


Ich habe oft an Dich und die Reise gedacht, Deine Seite allerdings habe ich schon lange nicht mehr besucht.
Jetzt finde ich diese beeindruckenden Bilder... sie zeigen die ganze Hässlichkeit dieser Welt und trotzdem sind sie farbenprächtig und auf eine geheimnisvolle Weise sogar "schön".

Ich kann den Geruch spüren, der atemraubend ist und sicherlich den Aufenthalt für Dich, als europäisches Kind, sehr schwer gemacht haben. Aber du hast Dich nicht abhalten lassen und hast die Bilder gemacht. Dafür danke ich Dir sehr!

Ich werde wiederkommen, wenn ich Zeit habe und Deine Reiseberichte lesen.

Ich bin mächtig beeindruckt. Der Aufenthalt ist ein Kraftakt der ganz besonderen Art - meine Bewunderung! Ich denke, die Welt wird für Dich niemals mehr die gleiche sein wie zuvor.

Gabriele

Anonym hat gesagt…

puh, sehr bewegend.
ad "weg, weg von diesem fremden planeten": glücklich sind die, die dort nur zu besuch sind und wieder gehen können, nicht dort ÜBER-leben.
dieser bericht hat mich gerade radikal in den moment zurückgeholt.