2008/11/30

Am Strohhalm gefesselt

Irgendwo zwischen der Promenade und dem Independence Monument in Phnom Penh steht ein kleiner Lastwagen. Vollgestopft mit Mechanikerwerkzeugen, Mopedersatzteilen und Schlafutensilien. Hier wohnt eine vietnamesische Familie. Der Sohn ist Mechaniker, die Mutter bedient den Benzinkanister. Es reicht zum leben.
Es ist Nachmittag und ich gehe ziellos durch die Stadt, die Promenade entlang, vorbei an Pagoden und kleinen Garküchen an verkehrsreichen Straßen.
Im gedanklichen Niemandsland winkt mich jemand zu sich. Ein Mann um die dreißig, europäisches Aussehen, vor dem Mechanikerlastwagen sitzend. Ich gehe auf ihn zu, fünf Minuten später sitze ich neben ihm auf einem der typischen verrußten Gartenstühle, verstrickt in eine Unterhaltung mit dem Europäer. Ronny, Norweger, 33 Jahre alt, seit sechs Monaten in Kambodscha, vorher Birma, Malaysia, Laos etc. als Erntehelfer und Hilfsarbeiter, schließlich ein Kind in Thailand gezeugt, hatte letzte Nacht einen heftigen Streit mit seiner Khmer Freundin, saß mehr als zehn Jahre im Knast in Norwegen wegen unerlaubtem Waffenbesitz und -schmuggel, mag Adolf Hitler und Wladimir Putin, sein Vater starb Anfang der Neunziger, sein Bruder ist Anteilshaber von Klamottenläden in Asien und er selbst will auf absehbare Zeit versuchen einen Job als Englischlehrer zu bekommen.

Soviel zu Ronny und seinem Leben.

Nun sitzt er hier, vor dem Mechanikerwagen, trinkt einen Shot Reiswein nach dem anderen und erzählt mir von seiner Welt, seiner Politik und dem wahren Kambodscha. Er ist mittlerweile eine kleine Berühmtheit im Viertel, ständig kommen Leute die ihn grüßen, mit ihm schlechtes Englisch reden, belanglos.

Er mag die Kambodschaner. Sie haben ein großes Herz, einen immensen Charakter und "they give a shit about money! Not like fucking greedy Thailand!".
Die Khmer Rouge Garde ist immer noch die herrschende Klasse, ein paar Familien teilen das kambodschanische Vermögen unter sich auf und verscherbeln ihr eigenes Land an ausländische Investoren.
Das übliche also, wie es sich in jeder annähernd unabhängigen Zeitung nachlesen lässt.

Doch nach zwei Stunden, es ist mittlerweile dunkel geworden, fragt er mich, ob er mir das wahre Kambodscha zeigen dürfe. Mittlerweile unruhig geworden und im Begriff zu gehen, willigte ich dankbar für eine Abwechslung ein.
Nicht weit entfernt betraten wir einen Hinterhof. Hier hin verirrt man sich eigentlich nur wenn man auf der Suche nach billigem Sex oder Drogen ist. Es sind "his friends, don't worry" sagt mir Ronny und erklärt den heraneilenden, barangwitternden Zuhältern und Dealern, dass er mir nur die Gegend zeigen wolle.
Im Hintergrund stehen übertrieben geschminkte Frauen, kleine Kinder und ein Geruch aus Müll und Ganja in der Luft.
Vor ein paar Jahren standen hier noch mehr "Häuser", doch werden diese nach und nach abgerissen, Regierungsauftrag zur "Säuberung" Phnom Penhs.

Wir gehen über Trümmer, vorbeihuschende Ratten, kleine Katzen mit undichtem Fell und betreten eine der zahlreichen Behausungen. Hier lebt Mr. T. mit seiner Familie, bestehend aus seiner Frau, seinen drei Kindern und seiner Mutter. Das "Appartement" ist ca. sieben Quadratmeter groß. Davor eine provisorische Küche, vielleicht vier qm.
Wir nehmen Platz auf der Holzliege im Zimmer.

Mr. T., ebenso 33J., ist drogenabhängig, macht hier und da ein bisschen Geld durch Dealereien. Die Drogen bekommen sie von der Polizei, dem geheimen Netzwerk.
"He is a good man, his children go to school, he does everything right, you know?" versichert mir Ronny. Er weiß selbst nicht genau wie man es schaffen kann in diesem Umfeld eine Familie zu ernähren. Sie haben nichts, doch sie geben mehr als Wohlhabende.

Dann bringt Mr. T.'s kleiner Sohn eine kleine Plastikflasche, mit zwei herausragenden Strohhälmen, vom Aufbau her ähnlich wie eine Wasserpfeife oder eine Ganjabong.
Doch hier gibt es kein simples Marihuana. Das Tütchen das Mr.T. öffnet enthält Ice (eine Inhalationsvariante von Crystal, einer chemischen und äußerst gesundheitsschädlichen Droge die bis hin zu organischen Schäden und irreparablen psychischen Veränderungen führen kann). Die Anwendung ist etwas schwierig und bedarf am besten vier Hände.
Ronny und Mr. T. ziehen jeweils an den Strohhälmen, sie bieten es mir auch an, ich lehne dankend ab, es wird akzeptiert. Auch wenn es Mr. T. seltsam erscheint, denn er kennt kaum jemanden der nicht raucht. Nahezu jeder in Kambodscha, vom TukTuk Fahrer über den Polizisten bis hin zum Politiker und dem König konsumiere zumindest Haschisch (Wie überall auf der Welt).

Das Zimmer wird immer verqualmter, Ronnys Artikulation immer ungenauer, die Kinder spielen auf dem Boden, während Mr. T.'s Mutter die Einnahmen des Tages zählt. Die jüngste Tochter sieht ihrer Großmutter sehr ähnlich. "Same, same."

Ähnlich auch ihre Zukunft.

Später frage ich Ronny wie denn seiner Meinung nach eine Veränderung beschaffen sein müsste.
Ganz klar, sagt er, wünscht er sich eine Verbesserung der Lebensumstände für die Menschen hier, doch würde er niemals ein Khmer-Herz gegen ein westliches eintauschen.


Phnom Penh 30/11/2008

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